Dezember 2018: Seminar für Ordnungspolizisten zur Verbesserung der sozialen Kompetenz im Umgang mit jungen Leuten

In Fortsetzung der Fortbildung von Ordnungspolizisten der Kommunen des Main-Taunus-Kreises in 2011 und 2013 wurden am 19., 27. und 29.11.2018 jeweils vormittags insgesamt 34 Ordnungspolizisten im Umgang mit Jugendlichen unterrichtet. Referenten waren diesmal die Dipl. Sozialpädagogen Lydia Rauh, Markus Müller und Markus Singer.

V.l.: Die Dipl. Sozialpädagogen Markus Müller, Lydia Rauh und Markus Singer

Aufgrund seines Arbeitsplatzwechsels in das Therapiedorf Villa Lilly in Bad Schwalbach stand der Referent der Fortbildungen in 2011 und 2013, Markus Müller, nur für das Seminar am 19.11.2018 zur Verfügung. Referentin am 27.11.2018 war Lydia Rauh, die seit 2013 die mobile Beratung Kriftel leitet. Die Fortbildung am 29.11.2018 übernahm Markus Singer, der in 2000 die Mobile Beratung in Flörsheim aufgebaut hat und dort bis heute tätig ist.

Notwendigkeit

Bereits in 2009 fiel bei der Analyse der Kriminalitätsstruktur der Kommunen des MTK auf, dass dort, wo private Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum eingesetzt wurden (vor allem, um junge Leute von zentralen Plätzen und Einkaufsstraßen fernzuhalten), die jugendtypischen Straftaten überproportional hoch vertreten waren. Aufgrund der begründeten rechtlichen Bedenken und nach intensiver öffentlicher Diskussion verzichteten nach und nach die Kommunen des MTK auf den Einsatz privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum. Stattdessen wurden weitere Ordnungspolizisten eingestellt, zum Teil arbeitsvertraglich orientiert am zeitlichen Auftreten der jungen Leute, nämlich in den späten Abendstunden und am Wochenende.

Da die neuen Ordnungspolizisten nicht das gleiche machen sollten wie die privaten Sicherheitsdienste, indem sie die jungen Leute vertreiben, war es erforderlich, deren soziale Kompetenz zu erweitern. Sie sollten mit den jungen Leuten reden und den Grund für Belästigungen und Störungen erfragen. Thema sollten auch die Bedürfnisse der jungen Leute sein und wie man Konflikte handhabt.

Organisation

Das Projekt erfolgte in Absprache mit den Bürgermeistern/-innen und Ordnungsamtsleitern/-innen. Sie waren damit einverstanden, nicht nur die neuen, sondern möglichst alle Ordnungspolizisten zu beschulen. Die dritte Fortbildungsreihe wurde mit Vertretern aller Präventionsräte im MTK abgestimmt.

Da die Maßnahme der Kriminalprävention dient, stellte der Präventionsrat des Main-Taunus-Kreises Raum, Arbeitsmittel sowie die Versorgung im Landratsamt und übernahm die Terminierung und Koordination der Teilnahme an der Beschulung. Diesmal wirkten auch ein Dienstgruppenleiter, und zwei Jugendsachbearbeiter der Polizeistationen an den Fortbildungsveranstaltungen mit.

Ablauf

Der inhaltliche Teil begann mit einem Kurzfilm über die Radikalisierung von Jugendlichen.

Die Auseinandersetzung mit dem Film führte schnell zu den Feststellungen, dass es offensichtlich dem dargestellten Jugendlichen an Orientierung fehlt und dass es von Zufälligkeiten abhängt, ob er links- oder rechtsradikal wird oder auch dem islamistischen Extremismus auf den Leim geht.

Polizeidirektor i.R. Jürgen Moog, der an allen Veranstaltungen teilnahm, gab einen kurzen Überblick über die Kriminalitäts- und Verkehrssicherheitslage. Neben den hieraus resultierenden Handlungsfeldern schwerer Diebstahl, Senioren, Sicherheit an Schulen und Verkehrssicherheit ist die Bekämpfung und Vorbeugung der Jugendkriminalität von besonderer, fortdauernder Bedeutung.

Geprägt ist die Delinquenz von Jugendlichen und Heranwachsenden durch

  • die statistische Auffälligkeit (etwa dreifach so häufig wie der Gesamtdurchschnitt)
  • die negative Erscheinung des Erwachsenwerdens (normal, quer durch alle Schichten, episodenhaft)
  • die Risikofaktoren (Bekanntschaft mit kriminellen Freunden, eigene Opfererfahrung, elterliches Erziehungsverhalten mit Gewalt, …)
  • die überproportional hohe Beteiligung an den Einzeldelikten Sachbeschädigung, Körperverletzung, Ladendiebstahl, schwerer Diebstahl und Raub
  • den Tatort meist in der Wohnortgemeinde.

Bewährt haben sich hierbei der Einsatz von mobilen Sozialarbeitern (zum Teil in interkommunalen Projekten), die Verstärkung der Ordnungspolizei (statt des Einsatzes privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum) und der (möglichst regelmäßige) Informationsaustausch und die enge Abstimmung zwischen mobiler Sozialarbeit, Ordnungsamt und Polizei.

Rund eine halbe Stunde nahm die Vorstellungsrunde in Anspruch, weil sie auch mit dem Blick auf die eigene Jugendzeit, die damaligen Treff- und Aufenthaltsorte, die erste Berührung mit der Polizei und mit Einsatzbeispielen verknüpft wurden, sich also mitten im Thema bewegte.

Unter den teilnehmenden Ordnungspolizisten/-innen waren nur vier Frauen. Eine Ordnungspolizistin hatte erst vor wenigen Wochen ihre Arbeit beim Ordnungsamt aufgenommen, der Dienstälteste ist bereits 23 Jahre Ordnungspolizist.  Das Altersspektrum reicht von 29 bis 62 Jahren. Die meisten kommen aus dem Sicherheitsgewerbe, dabei waren jedoch auch eine Sekretärin, ein Kfz-Mechatroniker, ein Prozessleitertechniker, ein Zentralheizungsbauer, ein Fliesenleger, ein Steinverlegungsmonteur, ein Landmaschinenmechaniker, ein Koch und ein Schwimmmeister und ein Kampfkunstlehrer. Insgesamt sind die meisten zufrieden mit ihrem Beruf, beklagen aber die kurze Ausbildung von nur 6 Wochen und Defizite bei der Rechts- und Handlungssicherheit, häufig auch aufgrund der Vorgaben ihrer Vorgesetzten. Außerdem sind die Bestellungen und die Ausrüstung unterschiedlich, insbesondere die Ausstattung mit Schutzwesten. Die Bewertung der Zusammenarbeit mit den Beamten der Polizeistationen reicht von gut bis schlecht. Einige beklagen eine Behandlung von „oben herab“.

Das Aufgabenspektrum, die Einsatzzeiten und die Vorgaben insbesondere zum Umgang mit Jugendlichen sind in den einzelnen Kommunen sehr unterschiedlich. Zum einen werden Ordnungspolizisten, angepasst an das Auftreten junger Leute, in den späten Abendstunden und an Wochenenden eingesetzt (Beispiel „Nacht-Hipos“ in Kelkheim); zum anderen wird der Streifendienst der Ordnungspolizisten weitgehend auf die Geschäftszeiten beschränkt und ein Einschreiten gegen Jugendliche untersagt.

Kommunikation mit der Zielgruppe „Jugendliche“ im professionellen Kontext 

Herr Singer nutzte die Erinnerungen der Seminarteilnehmer an die eigene Jugendzeit und die Situationsschilderungen, in welcher sie selbst einmal mit ordnungspolitischen Kräften zu tun hatten, sowie an Örtlichkeiten, an denen man sich mit der Clique getroffen hatte.

Beinahe alle Anwesenden konnten hierzu Beiträge leisten. „Geschichten von frisierten Mofas“, „Grober Unfug“, „Mundraub“, sind Beispiele aus der Jugend, die u.a.  dargestellt wurden. „Kerbehäuschen“, „Wald“, „kirchliche und städtische Jugendclubs“, „Vereine“, sind u.a. die erwähnten Orte, an welchen man sich traf.

Schnell wurde deutlich, dass sich die Rahmenbedingungen für Jugendliche stark verändert haben. Aufenthaltsorte ändern sich, stehen eventuell gar nicht mehr zur Verfügung. Die persönliche Erfahrung mit dem Feldschütz und der Polizei war geprägt von Respekt. („…es reichte aus, aus der Ferne die Uniform zu sehen!“, Zitat aus der Runde der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.)

Auch hier hat sich Wesentliches geändert. Viele Gespräche im professionellen Kontext sind durch einen Legimitationsdruck seitens der Ordnungskräfte geprägt. Ansprachen werden nicht ernst genommen, bzw. in Frage gestellt.

Lydia Rauh und Markus Müler fragten die Teilnehmer, wie sich die Jugendlichen aus ihrer Sicht verhalten.

Da kam viel Negatives: frech, respektlos, gleichgültig, aggressiv, fehlendes Unrechtsbewusstsein, Autorität wird in Frage gestellt, OrPos habe ein geringes Ansehen bei den Jugendlichen, Problem Migrationshintergrund, fehlende Sprachfähigkeit.

Über die persönlichen Befindlichkeiten während der Arbeit, im Umgang mit auffälligen, auch straffälligen Jugendlichen, entstand eine lebhafte Diskussion.

Im Folgenden befasste sich die Gruppe aus soziologischer Sicht mit der Zielgruppe „Jugendliche“. Die Sinus-Milieu-Studie, welche die  soziale Lage und die Grundorientierung von Jugendlichen abbildet, war hierfür Grundlage. „Welche Jugendlichen treffen wir in unserer Arbeit an?“ Diese Frage diskutierte die Gruppe und stellte fest, dass alle genannten Milieus anzutreffen sind.

Eine zweite Diskussion beinhaltete die Ansprache von Jugendlichen im beruflichen Alltag. Basis hierfür waren die persönlichen Erfahrungen, bereits entwickelte und im beruflichen Alltag erprobte Strategien im Umgang mit der Zielgruppe. Ergänzt wurden die Ausführungen durch die Vorstellung kommunikationstheoretischer Grundannahmen.

Allen Beiträgen und theoretischen Annahmen ist gemeinsam, dass die (professionelle und persönliche) Haltung der handelten Person stimmig (kongruent), außerdem die Kommunikation seinem Gegenüber wertschätzend sein sollte. Hilfreich, bei der Einschätzung einer besonderen Situation, kann außerdem ein Perspektivwechsel sein. Durch einfühlendes Verstehen (Empathie), bieten sich oftmals neue Gesprächsperspektiven an.

Als Konflikt vermeidende Faktoren wurden das „Siezen“, die Begründung der Anwesenheit und das „Ernst-nehmen“ der Jugendlichen ausgemacht. Wichtig ist dabei, dass eine Beziehung aufgebaut wird und das „auf Augenhöhe“, damit die eigentlichen Gesprächsinhalte transportiert werden können. Hilfreich sind Respekt, Blickkontakt, Geduld und Zielorientierung. Die Ansprache sollte kurz und klar sein und ggf. wiederholt werden. Frontbildung lässt sich vermeiden, wenn man sich hinsichtlich des Einschreitens auf eine höhere Autorität (Satzung der Stadt, Auftrag des Ordnungsamtes, pp.) beruft. Keinesfalls sollte man Jugendliche vor ihrer Gruppe bloßstellen; Ziel führend ist vielmehr, wenn der betreffende Jugendliche zur Seite genommen wird, um den Sachverhalt und eventuelle Verhaltensmaßgaben zu besprechen. Außerdem sollte man den jungen Leuten die Zeit lassen, um zu reagieren, z.B. ihren Müll freiwillig wegzuräumen.

Die Ordnungs- und Vollzugspolizisten/-innen trugen aus ihrer Praxis eine Fülle von Beispielen mit o.a. Gesprächsstrategien bei.

Die Kartierung ist das Ergebnis regelmäßiger Begehungen von Aufenthaltsorten junger Menschen und bildet eine Grundlage für etwaigen Handlungsbedarf.

Abschließend wurde eine Möglichkeit der Dokumentation von „Aufsuchender Arbeit“ (pädagogischer Terminus, Arbeit mit Menschen im öffentlichen Raum) vorgestellt und die Vorteile hierzu erläutert.

Gruppenfotos der Seminarteilnehmer

Seminar am 19.11.2018

Seminar am 27.11.2018

Seminar am 29.11.2018

Fazit und Ausblick

Das Feedback der Ordnungs- und Vollzugspolizisten/-in zu den Fortbildungsveranstaltungen und Referenten war sehr positiv, weil die Teilnehmer zum Umgang mit den Jugendlichen viel Interessantes und für ihre Aufgabenerfüllung Nützliches erfahren haben. Vielen Dank an die Dipl. Sozialpädagogen Lydia Rauh und Markus Singer, die äußerst kurzfristig die Referentenrolle übernahmen.

Bewährt hat sich wieder, dass bei der Fortbildungsrunde auch Vertreter der Vollzugspolizei mitwirkten, weil dadurch die Zusammenarbeit und die Effektivität der im öffentlichen Raum für Sicherheit und Ordnung zuständigen Kräfte weiter verbessert wird. Dies ist auch deshalb erforderlich, weil doch einige Probleme im Verhältnis von Ordnungspolizei und Vollzugspolizei angesprochen wurden. Auch sollten die Unterschiede bei der Bestellung und Ausstattung der Ordnungspolizisten mit den Ordnungsämtern der Kommunen thematisiert werden.

Die Fortsetzung der Seminare wird von allen gewünscht. Neben der Zusammenarbeit von Ordnungspolizei und Vollzugspolizei sollte das Thema Migration (z.B. unter Einbindung eines Migrationsbeauftragten der Polizei) in die Fortbildung aufgenommen werden.

Lydia Rauh, Markus Singer und Jürgen Moog

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