Nach den Fortbildungen von Ordnungspolizistinnen und -polizisten der Kommunen des Main-Taunus-Kreises in 2011, 2013 und 2018 wurden am 16.,18., 22., und 25.11.2022 jeweils vormittags insgesamt 43 Ordnungspolizisten im Umgang mit Jugendlichen unterrichtet. Referenten waren die Dipl. Soziologin Lydia Rauh und der Dipl. Pädagoge Markus Singer.
Lydia Rauh leitet seit 2013 die mobile Beratung Kriftel. Markus Singer hat 2000 die Mobile Beratung in Flörsheim aufgebaut und ist dort bis heute tätig. Beide arbeiten für den Jugend- und Suchthilfeverbund, Jugendberatung und Jugendhilfe e.V..
Notwendigkeit
Bereits in 2009 fiel bei der Analyse der Kriminalitätsstruktur der Kommunen des MTK auf, dass dort, wo private Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum eingesetzt wurden (vor allem, um junge Leute von zentralen Plätzen und Einkaufsstraßen fernzuhalten), die jugendtypischen Straftaten überproportional hoch vertreten waren. Aufgrund der begründeten rechtlichen Bedenken und nach intensiver öffentlicher Diskussion verzichteten nach und nach die Kommunen des MTK auf den Einsatz privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum. Stattdessen wurden weitere Ordnungspolizisten eingestellt, zum Teil arbeitsvertraglich orientiert am zeitlichen Auftreten der jungen Leute, nämlich in den späten Abendstunden und am Wochenende.
Da die neuen Ordnungspolizisten nicht das gleiche machen sollten wie die privaten Sicherheitsdienste, indem sie die jungen Leute vertreiben, war es erforderlich, deren soziale Kompetenz zu erweitern. Sie sollten mit den jungen Leuten reden und den Grund für Belästigungen und Störungen erfragen. Thema sollten auch die Bedürfnisse der jungen Leute sein und wie man Konflikte handhabt.
Organisation
Das Projekt erfolgte in Absprache mit den Bürgermeistern/-innen und den Ordnungsamtsleitern/-innen. Sie waren damit einverstanden, nicht nur die neuen, sondern möglichst alle Ordnungspolizisten zu beschulen. Die vierte Fortbildungsreihe wurde mit den Präventionsräten im MTK abgestimmt. Gastgeberin war diesmal die Gemeinde Kriftel, die ihre Besprechungsräume im Rathaus und im Josef-Witwer-Haus zur Verfügung stellte, inklusive der benötigten Technik. Vielen Dank an Frau Seeharsch vom Ordnungsamt, die sich um all das gekümmert hat.
Als Vertreter der Polizeidirektion Main-Taunus wirkten der Leiter des Sachgebiets Prävention, Sebastian Poppe, und der Schutzmann vor Ort, David Ausbüttel, mit
Ablauf
Nach einer relativ kurzen Vorstellungsrunde gab Polizeidirektor i.R. Jürgen Moog, der an allen Veranstaltungen teilnahm, einen kurzen Überblick über die Kriminalitätslage.
Neben den hieraus resultierenden Handlungsfeldern schwerer Diebstahl, Senioren, Sicherheit an Schulen und Verkehrssicherheit ist die Bekämpfung und Vorbeugung der Jugendkriminalität von besonderer, fortdauernder Bedeutung.
Geprägt ist die Delinquenz von Jugendlichen und Heranwachsenden durch
Kommunikation mit der Zielgruppe „Jugendliche“ im professionellen Kontext beim kommunalen Ordnungsdienst
In einer ausführlichen Eröffnungsrunde reflektierten wir die berufliche Sozialisation der Teilnehmenden sowie deren Arbeitsstrukturen in der jeweiligen Kommune oder Gemeinde. Die Teilnehmenden schilderten unterschiedliche Kontexte, in denen sie Jugendlichen begegnen.
Herr Singer nutzte die Erinnerungen der Seminarteilnehmer an die eigene Jugendzeit und die Situationsschilderungen, in welcher sie selbst einmal mit ordnungspolitischen Kräften zu tun hatten, sowie an Örtlichkeiten, an denen man sich mit der Clique getroffen hatte.
Beinahe alle Anwesenden konnten hierzu Beiträge leisten. „Geschichten von frisierten Mofas“, „Grober Unfug“, „Mundraub“, sind Beispiele aus der Jugend, die u.a. dargestellt wurden. „Kerbehäuschen“, „Wald“, „kirchliche und städtische Jugendclubs“, „Vereine“, sind u.a. die erwähnten Orte, an welchen man sich traf.
Schnell wurde deutlich, dass sich die Rahmenbedingungen für Jugendliche stark verändert haben. Aufenthaltsorte ändern sich, stehen eventuell gar nicht mehr zur Verfügung. Die persönliche Erfahrung mit dem Feldschütz und der Polizei waren geprägt von Respekt. („…es reichte aus, aus der Ferne die Uniform zu sehen!“, Zitat aus der Runde der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.)
Auch hier hat sich Wesentliches geändert. Viele Gespräche im professionellen Kontext sind durch einen Legimitationsdruck seitens der Ordnungskräfte geprägt. Ansprachen werden nicht ernst genommen, bzw. in Frage gestellt.
Lydia Rauh und Markus Müller fragten die Teilnehmer, wie sich die Jugendlichen aus ihrer Sicht verhalten. Da kam viel Negatives: frech, respektlos, gleichgültig, aggressiv, fehlendes Unrechtsbewusstsein, Autorität wird in Frage gestellt, OrPos habe ein geringes Ansehen bei den Jugendlichen, Problem Migrationshintergrund, fehlende Sprachfähigkeit.
Über die persönlichen Befindlichkeiten während der Arbeit, im Umgang mit auffälligen, auch straffälligen Jugendlichen, entstand eine lebhafte Diskussion.
Im Folgenden befasste sich die Gruppe aus soziologischer Sicht mit der Zielgruppe „Jugendliche“. Die Sinus-Milieu-Studie, welche die soziale Lage und die Grundorientierung von Jugendlichen abbildet, war hierfür Grundlage. „Welche Jugendlichen treffen wir in unserer Arbeit an?“ Diese Frage diskutierte die Gruppe und stellte fest, dass alle genannten Milieus anzutreffen sind.
Eine zweite Diskussion beinhaltete die Ansprache von Jugendlichen im beruflichen Alltag. Basis hierfür waren die persönlichen Erfahrungen, bereits entwickelte und im beruflichen Alltag erprobte Strategien im Umgang mit der Zielgruppe. Ergänzt wurden die Ausführungen durch die Vorstellung kommunikationstheoretischer Grundannahmen.
Allen Beiträgen und theoretischen Annahmen ist gemeinsam, dass die (professionelle und persönliche) Haltung der handelnden Person stimmig (kongruent), außerdem die Kommunikation seinem Gegenüber wertschätzend sein sollte. Hilfreich, bei der Einschätzung einer besonderen Situation, kann außerdem ein Perspektivwechsel sein. Durch einfühlendes Verstehen (Empathie), bieten sich oftmals neue Gesprächsperspektiven an.
Als Konflikt vermeidende Faktoren wurden das „Siezen“, die Begründung der Anwesenheit und das „Ernst-nehmen“ der Jugendlichen ausgemacht. Wichtig ist dabei, dass eine Beziehung aufgebaut wird und das „auf Augenhöhe“, damit die eigentlichen Gesprächsinhalte transportiert werden können. Hilfreich sind Respekt, Blickkontakt, Geduld und Zielorientierung. Die Ansprache sollte kurz und klar sein und ggf. wiederholt werden. Frontbildung lässt sich vermeiden, wenn man sich hinsichtlich des Einschreitens auf eine höhere Autorität (Satzung der Stadt, Auftrag des Ordnungsamtes, pp.) beruft. Keinesfalls sollte man Jugendliche vor ihrer Gruppe bloßstellen; Ziel führend ist vielmehr, wenn der betreffende Jugendliche zur Seite genommen wird, um den Sachverhalt und eventuelle Verhaltensmaßgaben zu besprechen. Außerdem sollte man den jungen Leuten die Zeit lassen, um zu reagieren, z.B. ihren Müll freiwillig wegzuräumen.
Die Ordnungs- und Vollzugspolizisten/-innen trugen aus ihrer Praxis eine Fülle von Beispielen mit o.a. Gesprächsstrategien bei.
Abschließend wurde eine Möglichkeit der Dokumentation von „Aufsuchender Arbeit“ (pädagogischer Terminus, Arbeit mit Menschen im öffentlichen Raum) vorgestellt und die Vorteile hierzu erläutert.
Gruppenfotos der Seminarteilnehmer
Fazit
Das Feedback der Ordnungs- und Vollzugspolizisten/-innen zu den Fortbildungsveranstaltungen und Referenten war absolut positiv, weil sie zum Umgang mit den Jugendlichen viel Interessantes und für ihre Aufgabenerfüllung Nützliches erfahren haben. Vielen Dank an die Dipl. Sozialpädagogen Lydia Rauh und Markus Singer, welche die Referentenrolle übernahmen.
Bewährt hat sich wieder, dass bei der Fortbildungsrunde auch Vertreter der Vollzugspolizei mitwirkten, weil dadurch die Zusammenarbeit und die Effektivität der im öffentlichen Raum für Sicherheit und Ordnung zuständigen Kräfte weiter verbessert wird.
Lydia Rauh, Markus Singer und Jürgen Moog