März 2015: Schulleiter und Schulsozialdienst im MTK beschäftigen sich mit dem Thema Salafismus

Nach Nordrhein-Westfalen hat das Rhein-Main-Gebiet in Deutschland die zweitgrößte salafistische Szene. Ein besonderes Phänomen ist dabei die Radikalisierung von Jugendlichen, die sich durch extreme religiöse Positionen, veränderten Lebensstil, Bartwuchs, Kleidung, „Lies! – Aktionen“ bis hin zum Kampf in Syrien als „Gotteskrieger“ darstellt. Der leider auch von der Problematik betroffene Main-Taunus-Kreis hält mit einer Präventionskampagne dagegen, die auf Information und Sensibilisierung aller Personen setzt, die möglicherweise mit dem Phänomen konfrontiert werden könnten, sowie auf abgestimmte Handlungsstrategien.

Information und Sensibilisierung in Besprechungen
Kriminalhauptkommissar Ekkehard Stawitz vom Staatsschutzkommissariat beim Polizeipräsidium Westhessen und Islamwissenschaftler vom Verein Violence Prevention Network (VPN) gaben in diversen Besprechungsrunden Einblick in den Islam, den Islamismus und den Salafismus und zeigten Präventions- und Interventionsmöglichkeiten auf:

  • 28.01.2015 Sitzung des AK Sicherheit, bei der auch die Schulleiterdienstversammlung zum Thema Salafismus vorbereitet wurde
  • 28.01.2015 Sitzung des Integrationsbeirates MTK
  • 05.02.2015 Sitzung der Präventionsräte mit den Bürgermeistern/innen und Vertretern der Ordnungsämter und Jugendreferate
  • 18.02.2015 Besprechung des Staatlichen Schulamtes GG/MTK
  • 12.03.2015 Sitzung des Jugendhilfeausschusses im MTK
  • 19.03.2015 Schulleiterdienstversammlung zusammen mit dem Schulsozialdienst im MTK

Damit wurden die wichtigsten Netzwerke im MTK aktiviert und sensibilisiert, um das Phänomen zu erkennen und frühzeitig mit eigenen Möglichkeiten oder durch Information der Fachdienste zu reagieren.

Veranstaltung für Schulleiter/innen, Lehrkräfte und Schulsozialdienst am 19.03.2015
Die für den 19.03.2015 geplante Veranstaltung zur Qualifizierung der Krisenteams wurde aufgrund der Brisanz des Themas ausschließlich dem Salafismus gewidmet. Neben den Vertretern von Schulen und Schulsozialdienst nahmen auch die Dienststellenleiter der vier Polizeistationen im MTK teil.

Offener Anfang
Die Leiterin des Staatlichen Schulamtes GG/MTK Birgitta Hedde, hatte für 13:30 Uhr zu einem „offenen Anfang“ eingeladen, um den Teilnehmern nach dem Schulalltag eine Einstimmung für das Thema und natürlich auch Kontaktgespräche zu ermöglichen.

Begrüßung
Erster Kreisbeigeordneter Wolfgang Kollmeier, Schuldezernent sowie ehemaliger Leiter der Konrad-Adenauer-Schule, und die Leiterin des Staatlichen Schulamtes Birgitta Hedde begrüßten um 14:00 Uhr die Teilnehmer und führten in die Problematik ein.

Foto 1 - 3: Erster Kreisbeigeordneter Wolfgang Kollmeier und die Leiterin des Staatlichen Schulamtes Birgitta Hedde

Grundlagen des Islam
Mit der Zielsetzung, Religion und Extremismus klar voneinander abzugrenzen, gab Kriminalhauptkommissar Ekkehard Stawitz zunächst Erläuterungen zum Islam.
Im frühen 7. Jahrhundert wurde der Islam in Arabien durch den Propheten Mohammed als monotheistische Religion gestiftet. Nach dem Christentum (ca. 2,2 Milliarden Anhänger) ist der Islam heute mit 1,6 Milliarden Anhängern die zweitgrößte Weltreligion. Seine Säulen sind Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosengeben, Fasten und die Wallfahrt nach Mekka. Hauptgruppen sind die Sunniten (85%) und die Schiiten (10%).

Foto 4: Kriminalhauptkommissar Ekkehard Stawitz

Die muslimischen Lebensregeln ergeben sich aus dem Koran (heiliges Buch der Muslime), der Sunna (überlieferte Gewohnheiten des Propheten) und der Scharia (Islamisches Rechtssystem).

Islamismus
Demgegenüber werden unter dem Begriff Islamismus alle Erscheinungsformen des islamisch geprägten Extremismus zusammengefasst. Die islamistische Interpretation von Koran und Scharia unterstellt nicht nur den gesamten privaten Lebensbereich, sondern auch sämtliche staatliche und gesellschaftliche Verhältnisse dem alleinverbindlichen Willen Allahs. Demokratische Rechtsordnungen werden als nicht mit dem Willen Allahs vereinbar abgelehnt.

Ursachen der Radikalisierung
Der Islamwissenschaftler von der Beratungsstelle Hessen des VPN ging auf Ursachen ein, die eine Radikalisierung von Muslimen begünstigen. Insbesondere nach den Anschlägen des 11.09.2011 und den sich anschließenden kriegerischen Auseinandersetzungen und Anschlägen im Irak und in Afghanistan wuchs die Islamfeindlichkeit in Deutschland. Weitere mögliche Gründe für eine Radikalisierung ergeben sich aus sozial schwierigen Verhältnissen, fehlender Integration, psychisch und sozial unsicherer Jugend, dem Erleben einer neuen Kultur / eines Kulturschocks, aus gewaltverherrlichenden Medien, Ausgrenzung, Diskriminierung, Demütigung, Minderwertigkeitsgefühlen und schließlich Resignation.

Phänomen Salafismus und die Erscheinungsformen
Beim Salafismus handelt es sich um eine extremistische Strömung im Islamismus mit eigenen ideologischen Vorstellungen. Die Lebensweise der Salafisten richtet sich streng nach Koran, Sunna und Scharia. „Modernisierungen“ bzw. Anpassungen an die heutigen Gegebenheiten dieser Grundlagen werden hierbei strikt abgelehnt. Ziel der Salafisten ist die Einführung eines Kalifats, zunächst in vorwiegend islamischen Ländern, später dann weltweit. Hierdurch ergibt sich, durch die Ausrufung des Kalifats in Teilen des Staatsgebietes von Irak und Syrien durch den Anführer des „Islamischen Staates“ (IS), ein besonderer Anreiz für Salafisten.

Auch innerhalb des Salafismus gibt es verschiedene Strömungen. Diese verfügen zwar über eine gemeinsame ideologische Grundlage, unterscheiden sich jedoch in der Wahl der Mittel, mit denen sie ihre gesellschaftlichen und politischen Ziele erreichen bzw. durchsetzen wollen. Der Großteil der Salafisten versucht über Missionierung (arabisch da’wa) möglichst viele neue Anhänger zu gewinnen und diese von ihrer Interpretation des Islam zu überzeugen. Offene Aufrufe zur Gewalt werden durch die politischen Salafisten zwar vermieden, jedoch wird religiöse Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele nicht prinzipiell abgelehnt. Ein kleinerer Teil der Salafisten ist jedoch davon überzeugt, dass die Erreichung des Zieles der Errichtung eines islamistischen Gottesstaates nur durch den bewaffneten Kampf möglich ist (jihadistischer Salafismus). Die Übergänge zwischen dem politischen und jihadistischen Salafistismus sind, trotz gegenseitiger Kritik, aber fließend, da sich beide Strömungen auf die gleichen Quellen beziehen und im politischen Salafismus die Anwendung von Gewalt nicht grundsätzlich abgelehnt wird.

Bei seinen Ausführungen zum Islam und Islamismus legte Herr Stawitz großen Wert auf die Differenzierung zwischen den vielfältigen Strömungen. Schließlich leben in Deutschland 4,3 Millionen Muslime, darunter jedoch lediglich 5500 Salafisten.

Strategie des Salafismus und Erklärungsansätze
Die Salafismus-Bewegung ist die derzeit am schnellsten wachsende islamistische Bewegung und stellt aktuell die größte Bedrohung für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Die Anschläge in Brüssel, Paris und Kopenhagen zeigen die gegenwärtige Gefahr, vor allem auch durch Rückkehrer aus den „Kampfgebieten“ (z.B. Syrien/Irak), auf.
Der zunehmende Grad der Professionalisierung im Umgang mit modernen Medien, der Justiz und der Polizei zeugt von einer durchdachten Strategie, um weitere Anhänger in hoher Zahl zu rekrutieren. Eine wichtige Zielgruppe sind dabei Jugendliche. Hierbei wird die Suche nach Identität, Sinn, Wert und Platz in der Gesellschaft während der Phase der Adoleszens ausgenutzt. Zumeist sind es die Verlierer, Schwachen und Missverstandenen, denen Prediger wie Pierre Vogel einen Weg mit einfache Regeln, Halt und Anerkennung aufzeigen.
Bei dieser Strategie spielt die sogenannte LIES! – Aktion eine entscheidende Rolle. Der Koran wird dabei in Papier sowie in elektronischer Form verteilt. Die Verteilaktionen gelten als Einstieg in den Salafismus und sind in vielen hessischen Städten festzustellen, so in Frankfurt und Wiesbaden, aber auch an Schulen im MTK.
Anhand der Gegenüberstellung von Suren in den Übersetzungen aus dem in Hocharabisch geschriebenen Koran erläuterte der Islamwissenschaftler, dass der gleiche Sachverhalt zum einen tolerant zum anderen radikal-aggressiv interpretiert wird. So bedeutet der „Jihad“ persönliche Anstrengung, Bemühung, aber auch Kampf auf dem Wege Gottes – vor allem gegen die eigenen Schwächen. Er wird aber auch als „Kampf gegen die Ungläubigen“ zur Stärkung der islamischen Religion und zur Beseitigung des Unglaubens genutzt.

Hessisches Präventionsnetzwerk gegen Salafismus
Als Abschluss der Vorträge stellte der Islamwissenschaftler das seit Mai 2013 eingerichtete Hessische Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) und die Aufgaben des seit Juli letzten Jahres bestehenden VPN vor. Als wesentlicher Teil des Präventionsnetzwerks kümmert sich VPN mit sieben Islamwissenschaftlern hessenweit um Prävention und Intervention im Zusammenhang mit Salafismus und war auch im MTK bereits aktiv.

„World-Café“ mit vier Stationen
Moderiert durch die Schulpsychologin Nicole Bröscher fand nach den Vorträgen im Foyer vor dem Plenarsaal ein „World-Café“ mit den vier „Gastgeber-Stationen“ VPN, Staatliches Schulamt, Staatsschutz und Polizei statt. An allen Stationen wurde intensiv diskutiert und Fragen notiert.

Foto 6: Moderatorin Nicole Bröscher

Darstellung der Themenschwerpunkte im Plenum
Die Fragestellungen für VPN rankten sich um die Interpretationen des Korans, insbesondere durch die Salafisten sowie um Literaturhinweise, Kurzdarstellungen über Islam und die Möglichkeiten, Schüler besser über den Islam zu informieren.

Foto 7: Gastgeber-Station VPN

An den Staatsschutz wurden Fragen zur Rolle des Internets und des Alters bei der Radikalisierung, des Verhaltens von Rechtsradikalen i. Z. m. der „Lies! – Aktion“ und zu Anhaltspunkten für die Radikalisierung gestellt.
Polizei wurde zum einen hinsichtlich der Veränderungen bei potentiellen Salafisten und der Rechtslage bei der Schenkung von Koranen befragt und die Bitte geäußert, eine Präsentation über den Salafismus mit Prävention und Intervention zu erstellen sowie einen Film hierüber zu besorgen und den Schulen zur Verfügung zu stellen.

Foto 8 - 10: Gastgeber-Stationen Staatsschutz, Polizei und Staatliches Schulamt

Themen des Staatlichen Schulamtes waren die Unterstützungsmöglichkeiten bei Salafismus durch das SSA, ein möglicher Zusammenhang zwischen Flüchtlingsproblematik und Salafismus sowie die Möglichkeit eines islamischen Religionsunterrichtes an Schulen.

Das Staatliche Schulamt misst dem Thema Salafismus/Radikalisierung und den damit verbundenen Fragen und Unsicherheiten auch in Schulen eine hohe Relevanz zu.
In Kooperation mit dem Staatlichen Schulamt fanden deshalb diverse Fachveranstaltungen statt. Diese richteten den Blick auf Information und Wissenserweiterung, sowie auf die Frage nach dem Umgang mit der Thematik im schulischen Alltag. Neben der präventiven Arbeit wurden auch konkrete Beratungs- und Unterstützungsangebote vorgestellt.
Das Staatliche Schulamt steht den Schulen natürlich jederzeit für Gespräche zur Verfügung.
Flüchtlinge aus insbesondere Syrien werden in der Regel gerade nicht als in diesem Sinne gefährdet angesehen, da sie vor genau diesem Regime geflohen sind und das Leid miterlebt haben. Bei anderen Flüchtlingskindern und –jugendlichen gibt es aber ebenfalls keine Hinweise auf Radikalisierungstendenzen.

Handlungsstrategien
Anhand von drei Fallbeispielen erläuterte der Islamwissenschaftler adäquate Handlungsstrategien zum Umgang mit Verdachtsfällen. Grundsätzlich rät er zu Ruhe und Überlegung, um zunächst auch mit Kollegen abzuklären, ob tatsächlich eine Gefährdung vorliegt.

Alsdann gilt es, einen Zugang zu der Person zu finden und ein offenes Gespräch zu führen. Sollte die Person blocken, sollten Experten hinzugezogen werden. Wichtig ist, dass man der Person Anerkennung und Akzeptanz vermittelt, auch wenn die Meinung nicht geteilt wird. Schließlich gilt es mögliche Ursachen für eine Radikalisierung festzustellen. Ggf. kann auf alternative und seriöse Hilfsorganisationen hingewiesen und dabei die Person begleitet werden.

Flyer zum „Umgang mit radikalisierten Jugendlichen“
Polizeidirektor Jürgen Moog stellte den vom Präventionsrat des MTK herausgegebenen Flyer zur „Jugendbewegung Salafismus“ vor, der inhaltlich auf einem Flyer des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt am Main basiert und mit dessen Genehmigung auf die Bedürfnisse im MTK angepasst wurde. Der Flyer erläutert die Begriffe Salafismus und Jihad und geht auf die Radikalisierung der Jugendlichen ein. Es werden Anhaltspunkte für eine salafistische Radikalisierung aufgezeigt und Verhaltenshinweise gegeben bis hin zum Einschalten von Polizei und weiterer Ansprechpartner.

Foto 12: Moderatorin Nicole Bröscher und Polizeidirektor Jürgen Moog

Der Präventionsrat übergab den Schulleitungen Flyer für alle Lehrer und auch für Elternbeiräte. Herr Moog bittet die Schulleitungen sich bei etwaigen Auffälligkeiten an die für die jeweilige Schule zuständigen Dienststellenleitungen der Polizei – analog dem Modell Amokverdachtsfall – zu wenden, um zunächst gemeinsam die Verdachtsmomente zu prüfen und das weitere Vorgehen abzustimmen.

Dank
Die beiden Referenten Ekkehard Stawitz und der Islamwissenschaftler von VPN haben das sehr komplexe und brisante Thema hoch interessant und verständlich dargestellt und alle Teilnehmer sensibilisiert. Hierfür bedankte sich der Geschäftsführer des Präventionsrates MTK, Peter Nicolay, mit Buchpräsenten.

Foto 13: v.l. Geschäftsführer Peter Nicolay und Kriminalhauptkommissar Ekkehard Stawitz

Frau Hedde bedankte sich bei Polizeidirektor Moog, stellvertretend für den AK Sicherheit an Schulen, für die Initiierung der Veranstaltung – auch weil es sich um die letzte Schulleiterdienstversammlung handelte, an der er als aktiver Polizeibeamter mitwirkte.

Jürgen Moog

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